München und seine Kreativwirtschaft: Ein Blick von Aussen

Key Note Jan Knikker @ Presentation of the Report on Culture and Creative industries in the European Metropolitan Region of Munich, 28 Januar 2016

Als MVRDV gefragt wurde eine kleine Keynote zu halten über die Münchener Kreativwirtschaft mit der Perspektive von außen, um das Wachstum der Münchener Kreativwirtschaft zu diskutieren, zu analysieren und auch zu recht zu feiern, sahen wir darin eine Einladung mit einem gewissen Risiko.

Auf einem Event wo harte Witschaftsfakten besprochen werden, stellvertretend für ausländische Kreative über das Image und den Wert der Münchener Kreativwirtschaft zu sprechen erschien uns als nur wenig wissenschaftlich, andererseits aber auch reizvoll, da wir alle als Kreativschaffende eine Meinung über die Stadt haben, die einerseits auf Erfahrung beruht und andererseits auf dem, was wir im Laufe unseres Lebens über München gehört haben. Wir sind daher an die Aufgabe wie eine Umfrage herangegangen, wie eine nicht-repräsentative Mini-Umfrage. Dafür haben wir ein kleines Brainstorming im Büro gemacht mit zehn Mitarbeitern verschiedener Nationalität, die alle schon mal in München waren, sowohl beruflich als auch in der Freizeit. Während dieses Meetings haben wir keine Nachschlagwerke verwendet, sondern frei aus unserer geteilten Erfahrung und Erinnerung geschöpft. Danach haben wir die Präsentation vorbereitet, und zwei Münchener Praktikanten, die im Moment bei MVRDV tätig sind gefragt ob unsere Beobachtungen stimmen. Mit dieser Methode haben wir den Vortrag vorbereitet.

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Picture Jürgen Enninger (@kreativmuenchen).

Der Blick von außen

Warum ist der Blick von außen wichtig? Als Vorbilder für Münchens Politik und Förderung der Kreativwirtschaft gelten Städte wie Amsterdam, Barcelona, Berlin oder Mailand. Der Vergleich hilft um die eigene Position zu analysieren, und das ist glücklicherweise völlig empirisch machbar. Wir wurden gebeten über das Münchener Paradox nachzudenken: einerseits hat München die wirtschaftlich stärkste Kreativwirtschaft Deutschlands, andererseits scheint die sich nicht in der Stadt zu manifestieren wie in anderen deutschen Städten oder wie zum Beispiel in London und Paris. Das ist ein interessanter Gedanke und auch eine messbare Größe, die einem Gefühl oder Image gegenübersteht.

Aber bevor ich mit Ihnen teile, was das Brainstorming an Gefühlen und Meinungen zum Image hervorgebracht hat, will ich gerne die Relevanz des Blicks von außen betonen anhand des Beispiels Rotterdam. Rotterdam ist die zweitgrößte Stadt der Niederlande und war 50 Jahre lang der größte Hafen der Welt. Es war in diesen Jahrzehnten für die Stadt völlig selbstverständlich sich der Welt als World Port City zu präsentieren. Mit der Automatisierung im Hafen, sozialer Unruhe in der Stadt und dem Verlust der Top Position kam auch eine Identitätskrise. Man sah sich eine Zeitlang als Stadt des Sports, aber fand nicht das Geld um ein neues Stadion zu bauen. Man profilierte sich in verschiedenen Disziplinen, die aber künstlich gesucht wurden und nicht aus der Bevölkerung, sondern sozusagen aus dem Bauch der Stadt kamen. In der Zwischenzeit wurde Rotterdam neugestaltet und wandelte sich; erst wurde die Stadt sozial befriedet, dann kamen Großbauten wie die Erasmusbrücke oder De Rotterdam, eine vertikale Stadt von Rem Koolhaas. Die Stadt hatte sich zum Ziel gesetzt, die Einwohnerzahl in der Innenstadt, die nach dem Krieg als Geschäftszentrum mit vorwiegend kommerzieller Nutzung konzipiert wurde, von 20.000 auf 80.000 zu erhöhen. Ein ganzer Wald von Wolkenkratzern wurde gebaut. Dazwischen aber, und das war gar nicht so geplant oder vorrauszusehen, haben die neuen und alten Bewohner die Stadt transformiert, sich die Stadt eigen gemacht und sich manifestiert. Rotterdam wurde von einer Vielfalt von kleinen Initiativen durchzogen. Es gab einen Hipster Frisörsalon, Schweine in der Nachbarschaft, die die Nahrungsproduktion veranschaulichten und gleichzeitig Fleisch für ein wunderbares Grillfest lieferten, es gab ein unglaublich gut besuchtes Food Truck Festival und all diese Dinge entwickelten sich ohne Regie. Was haben Frisöre, Grillfeste oder Food Trucks mit der Kreativwirtschaft zu tun? Da viele Kreative von ihrem monatlichen Einkommen kaum leben können, brauchen sie oft noch einen zweiten Job, und versuchen dann sich in traditionellen Bereichen wie eben Gastronomie anders einzurichten. Auf jeden Fall aber sind viele Gäste Angestellte aus der Kreativwirtschaft, die solche Orte brauchen um sich wohl zu fühlen. Genau darin liegt auch die große Attraktivität von Berlin.

Die Kraft der Stadt nutzen

Rotterdam jedenfalls hat irgendwann verstanden, dass diese neue Entwicklung eine große Kraft hat. Als die niederländische Regierung sich entschieden hatte keinen Länderpavillon zur Weltausstellung nach Mailand zu schicken, hat Rotterdam kurzerhand selbst ein Food Truck Festival nach Mailand entsendet. Als Holland Pavillon, der Export des neuen Rotterdams. Inzwischen hatte Königin Maxima in Rotterdam die neue Markthal eröffnet, ein Entwurf unseres Büros, die im ersten Jahr gleich 9 Millionen Besucher zählte, weit mehr als die 3,5 Millionen, die man erwartet hatte. Eine besondere Überraschung waren die 4,5 Millionen Touristen, dafür wurde sogar ein Souvenirshop eröffnet. In den Lokalzeitungen wurde gefragt, ob das noch Rotterdam war, die Stadt mit hunderttausenden Arbeitslosen, und die Rangliste aller schlechten Statistiken anführt, die Stadt der vierjährigen Fussball Hooligans und der Ort wo die rechtsnationale Revolte mit dem populisten Pim Fortuyn ihren Anfang hatte. Genau in dem Moment, wo es diese Diskussion gab, erschien Rotterdam weltweit auf Listen renommierter Medien als heißer Tipp. The Guardian, The New York Times, CNN, Lonely Planet und der Rough Guide empfahlen alle eine Reise nach Rotterdam. Dieser Blick von außen war genau in dem Moment nötig um die etwas zweifelnde Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die Entwicklung in Rotterdam positiv war. In der Stadt entstand ein neuer Stolz. Schließlich veränderte die Stadt ihren Slogan der alten Devise folgend ‚Niet lullen maar poetsen‘ (Nicht labern sondern arbeiten) in ‚Rotterdam  – Make it Happen‘, ein Slogan, der viel mehr aus der Stadt und ihrer Bevölkerung heraus entstanden ist.

Der Wert der kreativen Klasse

Das München die deutsche Stadt mit der größten Kreativwirtschaft ist war sicherlich eine Überraschung für uns, da wir ‚kreativ‘ in Deutschland vor allem mit Berlin verbinden; und damit sind wir nicht die Einzigen: der Suchbegriff ‚Berlin kreativ‘ ergibt 17.700.000 Resultate auf Google und der Suchbegriff ‚München kreativ‘ führt nur zu 6.800.000 Ergebnissen. Dass es so eine große Überraschung auch für München selbst war liegt wahrscheinlich auch an der neuen Methode zur statistischen Erhebung, die angewandt wurde um den Wert der Kreativwirtschaft zu erfassen. Doch wie auch immer erfasst, es ist ein Fakt auf den man Stolz sein kann und der auch einen besonderen Wert für die langfristige und nachhaltige Entwicklung von München hat. Richard Florida nennt die ‚kreative Klasse‘ immerhin einen der entscheidenden Faktoren in der wirtschaflichen Sicherheit einer Stadt. In seinem klassischen Werk ‚The Rise of the Creative Class‘ kommt er zu folgender Erkenntnis:  ‘Cities that attract and retain creative residents prosper, while those that do not stagnate’. Städte müssen bestimmte Eigenschaften haben um die kreative Klasse zu ihrem Recht kommen zu lassen, so beschreibt Florida die drei ‚T‘ die stimmen müssen und die kaum künstlich heranzuzüchten sind: ‚Talent, Tolerance and Tech‘. Wenn man das auf München überträgt kann eigentlich gar kein Zweifel entstehen. Anders als die erste Reaktion auf München als kreative Stadt ist es sogar selbstverständlich, dass die Stadt die drei ‚T‘ bietet. Ich will gerne drei symbolische Beispiele nennen: Es gibt bis heute 41 Pritzker Preisträger, der Pritzker-Preis ist eine der wichtigsten Auszeichnungen in der Architektur. Einer der Preisträger, Frei Otto, konnte sein bedeutendstes Werk, das Olympiastadion, in München realisieren und er hat lange in der Metropolregion München gewohnt. Er ist für mich Symbol für Münchener Talent. Dann zur Toleranz, auch wenn man vielleicht im Norden Deutschlands Witze macht über das bodenständige Bayern ist München eine sehr tolerante Stadt. Obwohl Berlin sich gerne als das deutsche Zentrum der Homo-Emanzipation darstellt fiel mir während meines letzten Besuchs auf der Münchener Immobilienmesse EXPO Real ein Poster in den U-Bahnhöfen auf, auf dem die MVG eine Familienkarte anpreist. Auf dem Poster stehen zwei fröhliche Familien, ein Schwulen- und ein Lesbenpaar mit Kindern. Und das, wo Deutschland dieses Familienmodell noch immer nicht rechtlich gleichgestellt hat. Ein Symbol für Münchener Toleranz. Dann kommen wir zum letzten und völlig unumstrittenen ‚T‘: Technik ist in der Heimatstadt der Bayerischen Motoren Werke AG ein Selbstverständnis. München hat die drei ‚T‘ und München hat eine lebhafte kreative Klasse die führend ist in Europa, man kann Ihnen herzlich gratulieren. Sie haben es einfach; und laut Richard Florida bleiben sie auch in der Zukunft prosperous. Warum dann die Zweifel über die Manifestation der Kreativen in der Stadt? Wir haben einiges für Sie gefunden, ich nehme Sie gerne mit auf diese alternative Stadtführung durch Ihre eigene Stadt.

München Kreativ: Die Karikatur

Wie die Dynamik von einem Brainstorming ebenso ist haben wir angefangen Witze zu machen und das liegt teilweise an München selbst. Das Oktoberfest mit all seinen urigen Traditionen, Saufgelagen und der bierbäuchigen Mode ist allgegenwärtig im Image der Stadt verankert. Helmut Dietl hat auch in anderen Ländern das Image von München mitgeprägt, Figuren wie Monaco Frantze und Baby Schimmerloos sind scheinbar hängen geblieben und der Begriff ‚Schickeria‘ wird im deutschsprachigen Wikipedia anhand des Münchener Beispiels erläutert. Inbegriff der Schickeria ist wohl Rudolf Moshammer der jahrelang in den Medien erschien mit seiner schrägen blauhaarigen Mutter, als zwei Karikaturen von sich selbst. Der urkauzige Bayer Walter Sedlmayer war mir vor allem aus dem Werbefernsehen bekannt, aber schien ein Schauspieler zu sein und wie Moshammer homosexuell, was man erst nach seinem tragischen Tod erfuhr. Erstaunlich, nicht wahr, diese Karikatur von der Münchener kreativen Klasse? Selbstkritik ist hochsympatisch und München nimmst seine Society nicht allzu ernst sondern mit fast britischem Humor.

München Kreativ: Die Bierdiplomatie

Was in unserer Brainstormrunde dann zur Sprache kam war auch ein sehr sympatischer Punkt für München. Jeder der Anwesenden um den Tisch war schon einmal auf dem Oktoberfest gewesen, allerdings niemand auf dem Oktoberfest in München.

München hat der Welt ein Fest gegeben, das wie eine Botschaft funktioniert, nicht die ehrwürdige formelle Architektur mit der sich die Bundesrepublik sich im Ausland präsentiert, vornehme Gebäude mit Säulen in den besten Gegenden der Hauptstädte. München hat das Oktoberfest, angemutigt von Bayerischen Brauereien wird es aber auch in Sydney, Singapur, Costa Rica, Peking und vielen anderen Orten auf der Welt gefeiert.

So kann es sein, dass morgens in Manhattan das amerikanische FOX News ein Bier anzappft wobei der Name von München im Bild ist. Es wird auch je nach Geschmack des Gastlandes an die hiesigen Sitten angepasst. In Paris wird beim Oktoberfest der CanCan Bavarois getanzt, in Las Vegas sind die Dirndl ultrakurz, silikongefüllt und nabelfrei, in Berlin wird rund ums Brandenburger Tor mit entblößter Brust gefeiert. Die Bayerischen Trachten, über die wir uns noch lustig gemacht hatten sind also ein sexy Exportprodukt.

Auch in Rotterdam, eine Stadt, die ein Hass-Liebe Verhältnis mit Deutschland hat, wird eine sehr fröhlich-unbeschwerte Variante des Oktoberfests gefeiert. Außerdem gibt es in Rotterdam einen Biergarten, ein cooler Ort wo sich die kreative Klasse trifft, und auch vermutlich der einzige Ort in den Niederlanden, wo man ein ordentliches Maß Bier bekommt.

München Kreativ: Die Wirtschaftspower

Jeder in unserer Runde wusste, dass München teuer ist und vor allem, dass das Wohnen in der Bayerischen Metropole nicht billig ist. Woher die Wohlfahrt kommt und insbesondere der Anteil, den die Kreativwirtschaft daran hat, dazu blieben die Ideen aus. In der Mode kamen wir auf Marken wie Aigner oder Bogner, waren uns aber schnell einig, dass vor allem BMW symbolisch ist für die kreative Wirtschaftspower von München. Autos sind natürlich in erster Linie ein technisches Produkt, für Konsumenten zählen aber auch der Fahrspaß, Status und Design.

München hat uns die elektrische Revolution auf der Straße schmackhaft gemacht, das ist wirklich nicht zu unterschätzen. Wo elektrische Autos von Tesla sich bemühen teuer und vertrauenswürdig auszusehen, vermutlich um ihren Preis wahr zu machen, und elektrische Autos von anderen Herstellern oft wie Eier, man denke an den Nissan Leaf oder den Citroen C Zero, hat BMW der Welt ein neues, bemerkenswertes Design für elektrische Autos gegeben. In den Niederlanden sehen wir das mit einigem Stolz, Adrian van Hooydonk, der Direktor der BMW Designabteilung ist schließlich Niederländer.

Außer BMW kommt noch ein ultracooles Design aus München, das vor allem in den hippen Nachbarschaften der Metropolen zu sehen ist. MINI gibt sich als Marke zwar noch immer sehr britisch, mit Union Jack Attributen als ob das Cool Britannia von Tony Blair nie zu Ende gegangen wäre, aber es fahren auch MINI rum mit einem Aufkleber ‚Made in Austria‘ auf der Heckscheibe, oder ‚MINI, Born in the Netherlands‘, nach dem niederländischen Ort Born, wo die Nedcar Fabrik steht, die verschiedene MINI Modelle baut. Die hippe Automarke kommt also aus England, Österreich und sogar aus den Niederlanden, das ist polyglottes und weltoffenes Marketing. Fakt ist allerdings, dass es ein Münchener Design ist, das weltweit so geliebt wird.

Auch im Bereich Design ist München weltweit vertreten, und zwar mit kreativen Produkten, die Millionen Konsumenten erfreuen und die zukunftsträchtige Technologie mit Design verbinden.

München Kreativ: Entfaltungsraum in der Stadt

Die kreative Klasse braucht Entfaltungsraum um sich zu manifestieren. Ein in Nordeuropa inzwischen berühmtes Vorbild ist der Schieblock in Rotterdam. Das ist ein kreativer Hub in einem heruntergekommenen sechziger Jahre Büroblock mitten im Zentrum von Rotterdam. Während der niederländischen Immobilienkrise bekam das junge Architektenbüro ZUS die Chance sich dort preisgünstig niederzulassen und wurde zum Regissseur eines kreativen Zentrums. Die Büros wurden an Start-ups vermietet, der Hinterhof wurde zum Biergarten, das Dach zum Schrebergarten, ins Erdgeschoss kam ein Kunstzentrum und ein Rotterdamer Warenhaus, das Gebäude wurde mit einer als ‚Luft-Gracht‘ verkauften Fußgängerbrücke mit einem weitläufigen städtischen Restraum verbunden. Die Bahngleise, Grasfelder und ein verlassener Bahnhof sind ein erfolgreiches Stück Stadt geworden, und inzwischen haben sich eine ganze Menge kreative Unternehmen, Restaurants und Clubs in der Umgebung niedergelassen. Dieser Erfolg beruht auf der Freiheit zur Initiative, die das Architekenbüro nutzen konnte, und auf der Unterstützung der Stadt Rotterdam, die auch im Nachhinein, nachdem die Krise vorbei war, sich dafür einsetzt diesen Ort längerfristig zu etablieren. Solche Orte, wo Kreative sich treffen können, sind auch sehr wichtig für die Attraktivität der Stadt und machen die Kreativwirtschaft sichtbar. München, so fiel uns auf, hat eine ganze Menge dieser Orte, die aber weniger segregiert sind als in anderen Städten, scheinbar braucht München weniger Hipster Ghettos.

Surfen und Kreativität sind schon lange miteinander verbunden. Dass es in München eine ewige Welle gibt, die auch im Winter mitten in der Nacht Surfer anlockt ist wirklich einzigartig. Nicht mehr lange übrigens, in einer Gracht in Rotterdam wird auch demnächst eine gebaut, auf Initative der Bevölkerung bekommen wir eine Kopie. Der Vergnügungswert des Eisbachs ist unglaublich, man läßt sich im Sommer einfach stromabwärts treiben und wird dann in Badehose mit der Straßenbahn zurückgebracht. Das ist eine kreative Lösung und ein erschwingliches Vergnügen, sicher für all die kleinen kreativen Schaffer. Die Wiese im Englischen Garten und das Grillen am Flaucher gehören genauso dazu wie die Nacktbadenden und der nicht so diskrete Bierverkauf von Mama Afrika. Ich garantiere Ihnen, dass Sie verhaftet werden wenn Sie im toleranten Amsterdam im Vondelpark nacktbaden.

Etwas Anarchie im Stadtraum ist wichtig, es macht glücklich, gibt Freiraum und Lebensqualität. Trotz aller Verbotsschilder gibt es auch ganz wunderbare Entfaltungsräume in München. Die Jugend zum Beispiel, die sich abends am Gärtnerplatz trifft zum Biertrinken und socialisen, das ist Münchener Anarchie, freundlich und unbeschwert, an vielen anderen Orten der Welt hätte ein solcher Platz eine eher aggressive Stimmung. Während wir in den Niederlanden immer mehr Brücken mit hohen Zäunen bauen, damit niemand Steine nach unten wirft, trifft man sich auf der Münchener Hackerbrücke zum Biertrinken um den Sonnenuntergang zu sehen.

Auch das Haus der Kunst, Ground Zero der unfreiwillig exzellenten Naziausstellung ‚Entartete Kunst’ ist heutzutage ein solcher Ort der Anarchie. Wenn man sieht wie das Dach oder die Fassade des Gebäudes durch die Kuratoren bespielt wird, mit Kunst von Ai WeiWei oder Paul McCarthy, das ist mehr als viele Museumsdirektoren sich leisten können. Das vorbelastete Gebäude wurde ein Pluspunkt da es um Respektlosigkeit fragt.

Und wir sollten nicht vergessen, wie München vor kurzem weltweit Schlagzeilen gemacht hat, mit handgemalten, regenbogenfarbenen Schildern auf denen ‚Welcome to Munich‘ stand, von einer freundlichen Bevölkerung am Bahnhof hochgehalten, wo Massen von Kriegsflüchtlingen ankamen. In den Niederlanden wurden Flüchtlinge ‚willkommen’ geheißen mit niederländischen Flaggen auf die ‚Nee’ geschmiert worden war. Es ist deutlich, auch in Deutschland gibt es viel Kritik zum Zustrom, auch in den Niederlanden gibt es Rekordzahlen von Freiwilligen die helfen, aber die Bildsprache, die da aus München kam und über die ganze Welt ging war ganz einzigartig, dazu kann man Ihnen gratulieren und Sie können stolz sein.

‚Willkommen in München‘ manifestiert sich auch, wenn man am Flughafen ankommt schon oft auf besondere Weise. Der sehr städtisch wirkende Platz zwischen Flughafen und Bahnhof wird oft genutzt für verschiedenste Events die dem Reisenden schon Mal einen wunderbaren Eindruck der Stadt geben: Es gab einen Surfwettbewerb inklusive Wellen, ein anderes Mal fanden dort Tennisspiele statt, Beach Volleyball, Polospiele und auch ein Weihnachtsmarkt. Wo in der Welt gibt es das sonst noch?

Das München zu teuer ist war mal Thema einer Kunstmanifestation, wo man ein Zelt aus Kleidung für die Nacht buchen konnte, das direkt vor der Filiale von Hermes auf der Maximilianstraße stand. Das ist doch eine wunderbare Manifestation der Kreativen. Ob die Stadtverwaltung von Paris oder London sowas zulassen würde ist zweifelhaft. Es ist auch ein wunderbares Signal an die Politik etwas zu tun, Kunst hat die Kraft Notstände sichtbar zu machen und hier ist es auf eine ganz kreative Weise passiert, jetzt liegt der Ball bei der Politik. Wie schaffen Sie preiswerte Wohnungen für die Münchener und Ateliers für die kreativen der Stadt? Geteilte Büros oder Werkstätten wie die Makerspace sind schon mal pfiffige Lösungen um weniger Platz zu brauchen.

Kreativ mit Raum ist auch Nicola Borgmann in der Architekturgalerie München. Trotz ihrer Winziggalerie mit nur fünfzig Quadratmetern gelingt es ihr immer wieder die namenhaftesten Architekten der Welt in der Galerie zu zeigen, die eigentlich zu klein ist für eine ernsthafte Ausstellung. Dennoch ist das Angebot erstaunlich und wird von den Architekturstudenten dankbar angenommen.

Wenn man ein bisschen genauer hinschaut kann man in München viele Orte finden, wo sich die kreative Klasse wohlfühlt, ohne dass es exklusive Orte sind wo sich nur Kreativschaffende treffen, auch für den Rest der Bevölkerung, vom Bankier bis zum Bauarbeiter sind viele dieser Orte hochattraktiv. München hat es einfach.

München Kreativ: Architektur

Wir beendeten unser Brainstorming mit der Architektur. München, so wurde gleich gesagt, sei eine konservative Stadt in dieser Hinsicht und traue sich nur wenig. Scheinbar wird an der Technischen Universität im ersten Jahr mit Aquarellpinseln gearbeitet und nicht mit 3D Software, es wurde behauptet, dass die nostalgische Architektur an der TU gefeiert wird. Bei aller Liebe zum Kunsthandwerk, zur künstlerischen Ausbildung und zu traditionellen Methoden ist die Praxis doch inzwischen anders, auch nostalgische Gebäude werden mit 3D Software errichtet, in den wenigsten Architektenbüros wird mit Aquarell gearbeitet. Wir waren uns alle ziemlich einig, dass wir den Eindruck hatten, dass in München bei Architekturwettbewerben oft die einfachste, sicherste oder eben die langweiligste Option gewählt wird. Wäre die Markthal Rotterdam in München möglich? Dieses eine Gebäude, das mit privaten Mitteln realisiert wurde und jetzt jährlich mehr Besucher empfängt als der Eiffelturm oder die Tate Modern? Markthal war anfangs eine Idee der Stadt, wurde zu einem Entwurf unseres Büros und gewann den von der Stadt ausgelobten Wettbewerb. Dann brachte sich die Stadt in den Realisierungsprozess mit ein, man diskutierte über Brandschutzregeln, mit dem Ergebnis, dass der Innenraum von der Markthal jetzt offiziell ein Außenraum ist und daher keine Sprinkleranlage braucht. Würde sich München das trauen? Sie fragen sich jetzt vielleicht ob das unsicher ist, aber man hat an alles gedacht, die Stadt war schließlich sehr engagiert dabei und hat immer mitgedacht.

Wäre es nicht wichtig, dass eine reiche Stadt wie München seine Architekturkultur unterstützt und sich um Qualität bemüht? Wenn in Dortmund oder Görlitz ein Investor vorbeikommt wird der rote Teppich ausgerollt. München mit seinen hohen Immobilienpreisen kann es sich leisten auf dem roten Teppich kritisch zu sein und höhere Anforderungen zu stellen. Das können Sie einfach so entscheiden, ab morgen, Anweisung an alle Mitarbeiter der Stadt, die über Bauanträge mitentscheiden, an alle Mitarbeiter der Stadt, die an Jurys teilnehmen: wählt Qualität und Wagnis. In der Altstadt steht ein architektonisches Schmuckstück neben dem anderen, die ganze Stadt kann so sein. Heute entschieden, in 40 Jahren sind Sie fast fertig damit.

Nachdem wir genug gemeckert hatten war es Zeit für positive Anekdoten. Ich erinnerte mich, dass ich durch München lief und ein weißes Gebäude von Siemens sah und dachte ‚Ist das etwa ein Richard Meier?‘. Ja, so konnte ich später auf Google sehen. Oder dass ich mal ein Taxi bat in der Maxvorstadt auf dem Weg zum Flughafen anzuhalten wegen eines ganz unglaublichen Spektakelstücks, das leider geschlossen war an diesem Sonntagmorgen, die Akademie der Künste von Coop Himmelb(l)au. In München kann man trotz der Aquarelle, trotz den vorsichtigen Jurys, die Werke von vielen wichtigen Architekten sehen. Das Dach des Olympiastadions natürlich, der Vierzylinder und die BMW Welt. Aber auch eher unscheinbare wunderbare Architektur wie das Jüdische Museum, Brandhorst, die Herz-Jesu Kirche oder das fröhliche Kletterzentrum, ein unwahrscheinlich spaßiges Werk. Die hochtalentierten Architekten Herzog & DeMeuron aus der Schweiz sind gut vertreten in München mit der Allianz Arena, den Fünf Höfen und der Sammlung Goetz; und vor kurzem hat Lord Foster die Erweiterung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus errichtet, mit schickeriagoldener Fassade, schade, dass Moshammer das nicht mehr gesehen hat.

Auch MVRDV durfte in München aktiv werden. In einem vornehmen Stadtteil haben wir ein Ökohaus gebaut, das aber nicht wie ein solches aussehen sollte, stattdessen wie eine wilde niederländische Reihenhaussiedlung mit zur Straße hin geschlossener, weichen Fassade aus gefütterter LKW-Plane. In Unterföhring durfte MVRDV als junges Architektenbüro einen Business Park bauen, der heute vor allem von der Allianz gemietet wird. Das ist zwar keine Kreativwirtschaft, wurde aber als Umgebung von den Kreativen entdeckt. In einer Folge vom Tatort ist das Restaurant erst Drehort für eine wilde außereheliche Sexszene und am Ende des Films Schauplatz des sehr gewalttätigen Show-Downs. Und auch in der Zukunft bietet München und vor allem Münchener Auftraggeber und Unternehmen uns neue Chancen, in der Stadt weiterhin tätig zu sein. Wir arbeiten momentan an einem Boutique Hotel in Form eines Felsens in Obersendling und an einem kreativen Hub mit Club, Kindertagesstätte und Bar in der Nähe des Ostbahnhofs.

Sie sehen, moderne Architektur verdient in München einerseits schon eine eigene Stadttour und andererseits darf es noch etwas mehr Bewuststein und Förderung geben.

München soll seine Mucki zeigen!

Nochmals meine wohlgemeinte Entschuldigung für diesen nicht sehr wissenschaftlichen Beitrag. Ich hoffe, dass ich Ihnen gezeigt habe, dass München sich eigentlich schon recht kreativ zeigt, vom Autodesign, das in meiner Straße in Holland fährt über ein wunderbares Fest zu einer vielfältigen, angenehmen und freundlichen Metropole mit großer Lebensqualität. Alle in unserer kleinen Brainstormrunde haben sehr positive Erinnerungen an München, alle haben eher zufällig Plätze in der Stadt gefunden, die sie beeindruckt haben. Das Siemensforum, den Gärtnerplatz, die Hackerbrücke, Mama Afrika, die ewige Welle oder das Kletterzentrum, oft auf dem Weg zu einem Meeting oder einer offiziellen Touristenattraktion, die weniger interessant war als das Entdeckte. Vielleicht kann München sich wie Rotterdam auch besinnen auf die Initiativen seiner Bevölkerung und seine kreative, künstlerische und anarchistische Seite etwas mehr mit der Welt teilen, anstatt sie fast egoistisch geheim zu halten. Um Ihnen dabei auf die Sprünge zu helfen haben wir gedacht, dass Sie vielleicht den Slogan ‚Munich loves you‘, den wir auch schon mit Alpenpanoramen gesehen haben, manchmal ersetzen können durch einen neuen. Sie kombinieren den Airportcode MUC mit dem KI von ‚Kreative Industrie‘ und Sie bekommen MUCKI. Symbol für das wirtschaftsstarke, kreative München. München soll seine Mucki zeigen!

28 Januar 2016, Jan Knikker (MVRDV)

 

 

 

 

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